Der explodierende Kopf

Fragment aus "Das Urteil" von Franz Kafka

Das Werk Kafkas ist durchsetzt von Momenten äußerster Beklemmung. Momente, in denen von Adrenalin durchwühlt, der Blutdruck steigt. Adern, die sich scheinbar verengen, pumpen Unmengen von Blut, dessen Druck glauben machen könnte: Der Kopf explodiert.
In vielen Werken des großen Autors finden sich solche Situationen, die, vom Protagonisten ausgelöst, auf den Leser überschwappen. Nicht selten sind ganze Werke von solch drückender Beklemmung inszeniert, dass sich Höhepunkte erst gar nicht einstellen, sondern als Dauerzustand agieren.

In Das Urteil mündet eine sich harmlos eröffnende Geschichte in einen der ungewöhnlichsten Showdowns der Weltliteratur: Der geliebte Vater verurteilt den Sohn zum Tode durch Ertrinken, der dies – da sein Leben, seine Existenz im Augenblick der Urteilsverkündung geradezu explodiert, verschwimmt, sich auflöst – prompt ausführt. Wie so oft bei Kafka geschieht auch dieser Moment fast leise, wie in Zeitlupe. Georg rennt nicht lärmend aus dem Haus, vielmehr eingeschlossen in der eigenen Unabwendbarkeit des Urteils, zieht es ihn magisch nach draußen auf die Straße, hin zur Brücke, von der er sich dann ohne jegliches Zögern hinab stürzt. Nicht der Vater scheint ihn in den Fluss zu treiben, er selbst wird von der eigenen Innenwelt an unsichtbarer Schnur gezogen.
Das ihn treibende „Ich“ – ich stelle es mir vor als hellen Klang im inneren Ohr – konnte für mich nur ein Sopran sein. So ist auch der eigentliche „Fall“ hell, fast freundlich ausgefallen, in dessen Flug Georg nur noch ein zart-leises, den Gesangston verlierendes, „Liebe Eltern, ich habe Euch doch immer geliebt“ über die Lippen hauchen möchte; kurz bevor der Tod – fast beiläufig – Besitz von ihm ergreift.

Christian Jost

Der explodierende Kopf
Dramatic Song for Soprano and Piano on words by Franz Kafka and here his last page of the short novel “Das Urteil”